Artikel über Rätselschöpfer Will Shortz in der NZZ

Den folgenden Text dürfen wir mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung und Verfasserin Silke Wichert übernehmen.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe vom 8. Oktober 2021. Verfasserin Silke Wichert.


Er gilt als bester Kreuzworträtsel-Autor der Welt und sagt: «Beim Rätseln ergibt am Ende alles einen Sinn»

Will Shortz von der «New York Times» wird so verehrt, dass er sogar in der Serie «The Simpsons» auftrat. Aber die Fans verzeihen auch dem Grossmeister des Kreuzworträtsels keinen Fehler.

Der Montag beginnt traditionell mit leichter Kost. Danach wird es täglich schwerer, bis samstags kommen nur noch die Profis mit. Da warten die ganz harten Nüsse auf die ganz cleveren Geister, die nicht nur einmal, sondern mit ihren Gehirnwindungen gleich um zig Ecken denken können. Bisweilen müssen allerdings selbst sie sich geschlagen geben, weil der Grossmeister wieder einmal schlauer war als sie: Gemeint ist Will Shortz, seit knapp dreissig Jahren Crossword-Editor der «New York Times» und so etwas wie der unbestrittene Rätselkönig der Welt.

In den USA ist der Mann mit dem Schnauz dermassen bekannt, dass er sogar einen Gastauftritt in der Zeichentrickserie «The Simpsons» hatte. Und hinter den fiesen Quizfragen von «The Riddler», dem Bösewicht aus dem Film «Batman Forever» von 1995, steckte ebenfalls Will Shortz.

Die Kompositionen des 69-Jährigen gelten unter Kennern als Delikatessen, weil sie nicht nur anspruchsvoll, sondern vor allem geistreich und zeitgemäss sind. Wer auf seinen gesteigerten Intellekt hinweisen möchte, bekennt sich als Anhänger, so der Komiker Jon Stewart oder Bill Clinton. «Die Fragen müssen die Gegenwart widerspiegeln», sagt Shortz per Videoanruf aus New York. Heute trägt er nicht sein berühmtes Hemd mit Kreuzwortmuster, sondern ein blaues Poloshirt. «Sie wollen doch nicht das Gefühl haben, dass Sie in der aktuellen Zeitung eine Aufgabe von vor zwanzig Jahren lösen», sagt er. Was heillos übertrieben ist – aber für seinen Geschmack sind schon ein paar Jahre zu viel. Beispielsweise hat er die Frage: «Ice-Bucket-Challenge-Zweck, kurz» (Antwort «ALS») längst aussortiert. Da sind die Fragen aktueller, die er kürzlich verwendet hat: «Es endet vielleicht mit einem Emoji.» (Antwort: «Textnachricht») oder «Frisur mit quadratischen Abschnitten» («boxerbraids»).

Will Shortz ist der wohl bekannteste Rätselschöpfer und -herausgeber in den USA.
Tim Pierce, WillShortz, CC BY-SA 3.0
Wie der Rätsel-Hype begann

Das erste Kreuzworträtsel überhaupt erschien 1913 in der «New York World», das Spiel etablierte sich als wöchentliche Rubrik. Aber erst als 1924 ein ganzes Buch damit erschien, entwickelte sich, was man heute als Hype beschreiben würde. Alle Welt begann zu rätseln. Es wurde zum angesagten Zeitvertreib, sich über die waagerechten und senkrechten Kästchen zu beugen. Bald hatten sämtliche Zeitungen in Amerika und Europa eine eigene Rätselseite, und wann immer ein Verleger glaubte, sie einstampfen zu können, war der Aufschrei unter den Lesern so gross, dass sie schleunigst wieder eingeführt wurde. Die Begeisterung ist bis heute ungebrochen.

Trotzdem ist die Psychologie des Kreuzworträtselns erstaunlich wenig erforscht. Wissenschafter glauben, dass es um den persönlichen Vergleich gehe, wie zufrieden man mit seinem Wissen sei – aber auch um das Erfolgserlebnis, mit Asterix- Wissen und Um-die-Ecke-Denken bisweilen mehr zu punkten als mit klassischer Bildung.

Will Shortz hat eine viel bessere Erklärung für die anhaltende Faszination parat: «Wir haben immer mehr das Gefühl, dass die Welt ausser Kontrolle gerät», sagt er. Und das stimme ja, auf viele Fragen wüssten wir keine Antworten mehr. Er fährt fort: «Beim Rätseln hingegen gibt es eindeutige Lösungen, und am Ende ergibt alles einen Sinn. Ich glaube, der Mensch sehnt sich tief in seinem Inneren nach Vollständigkeit.» Rätsellöser seien deshalb ausgeglichene, fokussierte Menschen. So wie er selbst.

Shortz wuchs auf einer Pferderanch in Indiana auf. Seine Mutter schrieb Kinderbücher und war eifrige Teilnehmerin an Preisausschreiben für Gedichte und Kurzgeschichten. Zweimal gewann sie sogar ein Auto. Auch ihr aufgeweckter Junge entdeckte bald seine Liebe zur Wortspielerei. Mit acht begann er, Kreuzworträtsel zu lösen, mit vierzehn wurde sein erstes eigenes veröffentlicht. Am College belegte er das Hauptfach «Enigmatology», die Kunst des Puzzelns – er hatte es zusammen mit einem Professor ins Leben gerufen.

Da seine Eltern die Rätselei jedoch nicht als ernsthaftes Berufsziel ansahen, studierte er zunächst Jura wie sein älterer Bruder. Glücklicherweise machte er in den Semesterferien ein Praktikum bei einem Rätselverlag und bekam bald darauf eine Stelle als Redaktor des Magazins «Games». 1993 wechselte er zur «New York Times».

Den Sprung ins Digitale geschafft

Jede Woche erreichen das fünfköpfige Team dort zahlreiche Einsendungen von Hobbytüftlern. Denn für einen Abdruck gibt es nicht nur Ehre: Unter der Woche liegt das Honorar bei bis zu 750 Dollar, sonntags sogar bei bis zu 2250 Dollar. Der Chef, Will Shortz, wählt die besten aus und verfeinert sie. Am Ende sei etwa die Hälfte der formulierten Fragen von ihm, schätzt er.

Schwarz-weisse Kästchen, die händisch auf dünnem Papier ausgefüllt werden – in unserer digitalen Welt erscheinen Kreuzworträtsel geradezu anachronistisch. Aber sie erfüllen auch jenseits der Befriedigung von Vollständigkeit einen guten Zweck: Mit Denksport, das immerhin ist erforscht, kann man das Gehirn trainieren. So lässt sich Alzheimer vorbeugen und das Fortschreiten einer Demenz deutlich verzögern. Eine Studie der Universität von Exeter und des King’s College in London ergab ausserdem, dass Menschen, die regelmässig Kreuzworträtsel lösen, über bessere sprachliche Fähigkeiten verfügen.

Und es sind keineswegs nur die Älteren, die gern knobeln. Der Altersdurchschnitt seiner «crossworder» sei von Mitte fünfzig auf Mitte dreissig gesunken, sagt Will Shortz. Den Sprung ins Digitale hat das Rätsel geschafft. Mehr als 750 000 Abonnenten zählt das kostenpflichtige Internetangebot der «New York Times» mittlerweile. Viele Nutzer lösen die Aufgaben nun online gemeinsam mit Freunden oder spielen gegeneinander auf Zeit.
Als Rätsel-Redaktor müsse man nicht alles, aber ein bisschen etwas von allem wissen, lautet Shortz’ Devise. Am wichtigsten sei, mit wachen Augen durchs Leben zu gehen, überall lauerten interessante Fragestellungen. Er erzählt, wie er vor ein paar Wochen beim Spazierengehen ein Werbeplakat für den Film «Ema» gesehen habe – nur drei Buchstaben! Vokal am Anfang und am Ende! Er habe inständig gehofft, der Film würde ein Blockbuster, damit er das Wort bald benutzen könnte. «Aber es wurde leider nichts daraus.»

Wann hat er das erste Mal etwas aus dem neuen Corona-Vokabular verwendet? Inzidenz, Maskenpflicht, Lockdown? «Gar nicht», antwortet Shortz. «Rätsel sollen eine Ablenkung vom Alltag sein.» Nur einmal habe er Corona, das Bier, verwenden wollen. «Welche Brauerei verlor 2020 an Marktanteil?», lautete die Frage. Aber seine Kollegen von der Schlussredaktion mussten ihn korrigieren, da schon seine Frage falsch gestellt war. Denn die Biermarke hatte vergangenes Jahr im Gegenteil zugelegt.

Eine Frage, zwei richtige Antworten Auch ihm unterlaufen Fehler, und manchmal gelangen sie auch ins Blatt. Er führt Buch darüber, scrollt nun durch eine Liste, man hört die Maus klicken. «Dieses Jahr war es bis jetzt einer», sagt er. Es ging um ein Werbe-Maskottchen beim Superbowl – statt 2020 hatte er 2019 geschrieben. Natürlich erreichten die Redaktion sofort zahlreiche Leserbriefe. Manche Leute befriedigt nichts mehr, als den Meister eines Besseren zu belehren. Im Schnitt würden ihm vier oder fünf Fehler pro Jahr unterlaufen, sagt er, um anzufügen: bei über 32 000 Fragen.
Der Mann weiss, was er kann, an Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Das hört man auch heraus, als der 69-Jährige von seinem Tischtennisklub erzählt, seiner zweiten Leidenschaft. Wie beim Puzzeln vergesse er beim Tischtennisspiel alles um Eine Frage, zwei richtige Antworten sich herum. Er tut es täglich, hat vor zehn Jahren einen eigenen Klub gegründet, richtet Wettbewerbe aus mit Preisgeldern von 6000 Dollar. Auf seine Initiative geht auch die World Puzzle Championship zurück, zudem ist er Vorsitzender der amerikanischen Puzzle-Meisterschaften. Was ist sein Meisterwerk unter den mehr als 10 000 Rätseln, die er in seinem Leben gebaut oder betreut hat? Er antwortet, ohne zu zögern: Es stammt aus dem Jahr 1996.
Es war der 5. November, der Tag der Präsidentschaftswahlen zwischen Bob Dole und Bill Clinton, und in einer Zeile seines Rätsels stand: «Headline in der Zeitung von morgen.» Er bot zwei Antworten an, die funktionierten, da beide sieben Buchstaben enthielten: «Clinton elected» oder «Bob Dole elected». Will Shortz hatte alle Felder so konstruiert, dass zwei richtige Lösungen möglich waren. Das gelang ihm weder vorher noch danach je wieder.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe vom 8. Oktober 2021. Verfasserin Silke Wichert.